{"id":1944,"date":"2012-03-20T17:00:56","date_gmt":"2012-03-20T15:00:56","guid":{"rendered":"http:\/\/sowiholding.at\/career-competence\/?p=1944"},"modified":"2014-10-15T19:09:00","modified_gmt":"2014-10-15T17:09:00","slug":"pre-opening-2012-schluss-mit-durchschnitt","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.career-competence.at\/2012\/pre-opening-2012-schluss-mit-durchschnitt\/","title":{"rendered":"Pre Opening 2012: Schluss mit Durchschnitt"},"content":{"rendered":"

\u201e\u00d6sterreich l\u00e4uft Gefahr, sich mit dem Durchschnitt zufriedenzugeben\u201c, sagt Humangenetiker Markus Hengstschl\u00e4ger, Autor des Buchs \u201eDie Durchschnittsfalle\u201c, der im Rahmen der Auftaktveranstaltung zur Karrieremesse Career & Competence am 13. M\u00e4rz \u00fcber seine zentralen Thesen referieren wird \u2013 die den Kern der Messe treffen, geht es doch auch hier darum, sich vom Durchschnitt abzuheben. In der Praxis sieht es in \u00d6sterreich leider oft anders aus: \u201eDas Humankapital misst man nicht, indem man den Durchschnitt bestimmt. Es ist wichtig, dass wir nicht abfallen, aber viel wichtiger ist mir als Wissenschaftler, dass alles getan wird, um die Spitzen zu entdecken und zu f\u00f6rdern.\u201c Gerade das passiere aber in der Praxis nicht. \u201eSchon in der Schule wird gem\u00e4\u00df eines Systems agiert, das bei unserem Gegen\u00fcber das findet, was er eben nicht kann. Und dann sagen wir: Mit dem wirst du dich ab sofort umso mehr besch\u00e4ftigen.\u201c Am Ende kann dabei nur eins herauskommen: Durchschnitt. Aber es geht auch anders. Denn laut Hengstschl\u00e4ger sollte ein System etabliert werden, das Talente f\u00f6rdert und nicht Schw\u00e4chen forciert. \u201eWas wir wahrnehmen und messen k\u00f6nnen ist nicht Talent, sondern Erfolg. Daf\u00fcr m\u00fcssen die individuellen genetischen Leistungsvoraussetzungen des Einzelnen entdeckt und durch harte Arbeit in eine besondere Leistung umgesetzt werden.\u201c Dabei w\u00fcrden Gene zum einen eine geringe Rolle spielen, in anderen F\u00e4llen aber entscheiden sie mit, \u201eje nachdem ob es sich etwa um wissenschaftliche, k\u00fcnstlerisch-musische, sportliche, handwerkliche oder Management-Leistungen handelt. Selbst das Gl\u00fccklichsein folgt diesem Konzept.<\/p>\n

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Markus Hengstschl\u00e4ger im Interview<\/h1>\n

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basics:<\/strong> Herr Hengstschl\u00e4ger, was st\u00f6rt Sie eigentlich am Durchschnitt?<\/p>\n

Markus Hengstschl\u00e4ger:<\/strong> Er ist erfolglos und gef\u00e4hrlich. Zudem wird er als Konzept f\u00fcr Gerechtigkeit missbraucht.<\/p>\n

basics: <\/strong>Warum ist der Durchschnitt ungerecht?<\/p>\n

Hengstschl\u00e4ger:<\/strong> Nehmen Sie 100 \u00f6sterreichische Parameter, K\u00f6rpergr\u00f6\u00dfe, Augenfarbe etc. und bestimmen daraus den Durchschnitt. Und dann schauen Sie, welche Ihrer individuellen Parameter Punktlandungen am \u00f6sterreichischen Durchschnitt sind. Die Antwort: 50-mal liegen Sie dar\u00fcber, 49- mal darunter und einmal passt es genau \u2013 das ist ein Prozent. Insofern gibt es nichts auf der Welt, das Ihnen weniger entspricht als der Durchschnitt.<\/p>\n

basics:<\/strong> Und warum ist er erfolglos?<\/p>\n

Hengstschl\u00e4ger:<\/strong> Ich nehme ein nicht-biologisches Beispiel. Ein Turnsaal mit 20 Kindern, der Turnlehrer sagt: Da kommt ein Ball, ich wei\u00df zwar nicht wann und woher, aber stellt euch so auf, dass einer den kommenden Ball f\u00e4ngt. Was macht die \u00f6sterreichische Politik, um dieses Problem zu l\u00f6sen? Sie gr\u00fcndet zur Hilfestellung f\u00fcr die Kinder eine Expertenkommission, die alle probaten Mittel verwendet, um die Frage zu beantworten, woher der Ball im Durchschnitt kommen wird. Die Fakten werden gesammelt und pr\u00e4sentiert: Bisher ist der Ball zehnmal von rechts oben und zehnmal von links unten gekommen, das hei\u00dft, er kommt im Durchschnitt aus der Mitte. Von dort ist er aber noch nie gekommen, die \u00f6sterreichische Politik sagt aber, liebe Kinder, wir wissen, woher der Ball im Durchschnitt kommt, stellt euch also alle in die Mitte des Turnsaals. Die Chance, dass irgendein Kind den Ball f\u00e4ngt, ist also ausgesprochen gering.<\/p>\n

basics:<\/strong> Und wie geht es weiter?<\/p>\n

Hengstschl\u00e4ger:<\/strong> Daheim fragt die Mutter, warum das Kind sich in die Mitte des Turnsaals gestellt hat, obwohl der Ball noch nie von dort gekommen ist. Und jetzt kommt der entscheidende Punkt, bezeichnend f\u00fcr \u00d6sterreich. Das Kind sagt: \u201eMama, es sind alle dort gestanden.\u201c Und die Mutter: \u201eAlso, wenn alle dort gestanden sind, haben wir kein Problem.\u201c Das hei\u00dft: Es ist in \u00d6sterreich viel einfacher geworden, sich mit der Mehrheit zu irren, als alleine Recht zu haben. Der Dolch des Durchschnitts ist die Mehrheit.<\/p>\n

basics:<\/strong> Was w\u00e4re nun der richtige Ansatz?<\/p>\n

Markus Hengstschl\u00e4ger: <\/strong>Um die h\u00f6chste mathematische Chance zu haben, damit ein Kind den Ball f\u00e4ngt, d\u00fcrfen niemals zwei Kinder am gleichen Platz stehen. Noch viel besser: Die Kinder sind in Bewegung. Wir vereinen also Individualit\u00e4t und Flexibilit\u00e4t. Es gibt nur noch Individualit\u00e4t, das h\u00f6chste Gut, wenn es darum geht, sich auf Fragen vorzubereiten, von denen wir heute nicht wissen, wann sie kommen und wie sie lauten werden.<\/p>\n

basics:<\/strong> Wie kann man individuelle Eigenschaften f\u00f6rdern?<\/p>\n

Hengstschl\u00e4ger:<\/strong> Der beste Weg, sein Talent zu entdecken, f\u00fchrt \u00fcber das Angebot, aus dem man sich etwas herauspicken kann. Peter Rosegger sagt: \u201eEin Talent hat jeder Mensch, nur geh\u00f6rt zumeist das Licht der Bildung dazu, um es aufzufinden.\u201c Und je gr\u00f6\u00dfer das Angebot an F\u00e4chern, desto gr\u00f6\u00dfer die Chance etwas zu finden, wo man eine besondere Leistungsvoraussetzung hat. Man muss sie aber entdecken k\u00f6nnen und durch harte Arbeit in Leistung bzw. Erfolg umsetzen. Unterst\u00fctzung brauchen die Kinder beim Entdecken.<\/p>\n

basics: <\/strong>Wie k\u00f6nnen P\u00e4dagogen Kinder beim Entdecken unterst\u00fctzen?<\/p>\n

Hengstschl\u00e4ger:<\/strong> Bisher haben sich Lehrer meiner Meinung nach nie auf die Suche nach den Talenten ihrer Sch\u00fcler gemacht und zweitens haben sie nie ein Fach unterrichtet, wie sich ein Mensch selbst auf die Suche nach seinen Talenten machen kann. Es gibt bei uns kein Fach, das uns lehrt, wer du bist und was du kannst. Daher will ich ein Fach, in dem abgecheckt wird, ob das Kind ein musikalischer, sportlicher, rhetorischer etc. Typ ist. Da geht es um die Chance, Leistungsvoraussetzungen zu entdecken. Das Zweite ist dann, ob man die Chance und die Bedingungen hat, diese Leistungsvoraussetzungen weiterzuentwickeln.<\/p>\n

basics:<\/strong> Hat man bei uns diese zwei Chancen?<\/p>\n

Hengstschl\u00e4ger:<\/strong> In \u00d6sterreich, dem f\u00fcnftreichsten Land der Welt, hat man diese Chance nicht. Bei uns werden in der Schule die Schw\u00e4chen gest\u00e4rkt, man lernt in F\u00e4chern viel, um keinen F\u00fcnfer zu bekommen, in den F\u00e4chern, wo man eh gut ist, aber nicht. Das gilt aber auch f\u00fcr die Wirtschaft, es gibt Leitlinien, um Fehler zu entdecken, aufzuzeigen und abzustellen. Gibt es aber Leitlinien, um Spitzen zu entdecken und Freaks zu f\u00f6rdern? Nein.<\/p>\n

basics:<\/strong> Wie geht \u00d6sterreich mit Talenten um?<\/p>\n

Hengstschl\u00e4ger:<\/strong> Die Talente in unserem Land liegen komplett brach. Wir m\u00fcssen bildungsferne Schichten kompromisslos zur Bildung bringen, da Bildung der einzige Weg ist, um Talente zu beleuchten, und nicht, um den Durchschnitt zu heben. Auch in Menschen mit Migrationshintergrund schlummert ein ungeheures Talentpotenzial, das v\u00f6llig brach liegt.<\/p>\n

basics:<\/strong> Wie w\u00fcrde ihr Bildungssystem ausschauen?<\/p>\n

Hengstschl\u00e4ger:<\/strong> Keine Spezialisierung bei Kindern. Ganztagsschule, da das Entdecken von Talenten Zeit braucht. Einer Zentralmatura kann ich nur etwas abgewinnen, wenn der Beweis erbracht wird, dass dadurch eine Individualisierung stattfindet. Brillant ist die modulare Oberstufe. Es ergibt keinen Sinn, dass ein Kind mit einem Fleck die ganze Klasse wiederholt und damit jene F\u00e4cher, in denen es gut ist, noch einmal h\u00f6rt. Oder gar dreimal \u2013 sp\u00e4testens da vergeht es jedem. Und zu den Lehrern: Es ist nicht Aufgabe des Musiklehrers, einen guten Durchschnitt in der Klasse zusammenzubringen, es ist seine Aufgabe, die Talente in der Klasse zu suchen und eventuell zu finden. Und dann braucht es noch ein Konzept, wie sich Kinder auf die Suche nach sich selbst machen k\u00f6nnen.<\/p>\n

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Buchtipp<\/span><\/h3>\n

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Peaks und Freaks. Entweder man hat es oder man hat es nicht. Stimmt das? Kann man ohne bestimmte genetische Voraussetzungen nicht erfolgreich sein? Oder gilt: Ohne Flei\u00df kein Preis? In der vielbeschworenen Leistungsgesellschaft ist die Hervorbringung durchschnittlicher Allround-K\u00f6nner zur obersten Priorit\u00e4t geworden. Aber wer bestimmt, was normal ist? Es muss die Norm werden, von der Norm abzuweichen. Oder anders ausgedr\u00fcckt: Wir brauchen Peaks und Freaks. Hengstschl\u00e4ger, geb\u00fcrtiger Ober\u00f6sterreicher, promovierte im Alter von 24 Jahren mit Studienverk\u00fcrzung und Auszeichnung als Universit\u00e4tsassistent am Vienna Biocenter zum Doktor der Genetik. Mit einem Erwin Schr\u00f6dinger Stipendium verbrachte er einen Forschungsaufenthalt an der Yale University in den USA. Hengstschl\u00e4ger hat eine abgeschlossene Ausbildung zum Fachhumangenetiker, wurde mit 29 Jahren a.o. Univ.-Prof., und 35j\u00e4hrig wurde er zum Universit\u00e4tsprofessor f\u00fcr Medizinische Genetik berufen. An der Medizinischen Universit\u00e4t Wien ist er Vorstand des Instituts f\u00fcr Medizinische Genetik.<\/p>\n

\u201eDie Durchschnittsfalle: Gene – Talente – Chancen\u201c, von Markus Hengstschl\u00e4ger. Erschienen im Ecowin Verlag, 185 Seiten, 21,90 Euro<\/p>\n

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\"HengstschlaegerBuchcover_01\"<\/a><\/p>\n

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Bilder des Pre Openings<\/h1>\n\n\t\t\t